Eine umfassende neue Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt, dass 26 Prozent der Einwanderer in Deutschland über eine Ausreise nachdenken. Basierend auf den Antworten von über 50,000 Teilnehmern entspricht diese Zahl schätzungsweise 2.6 Millionen Menschen. Davon haben rund 300,000 bereits konkrete Auswanderungspläne formuliert.
Die Ergebnisse werfen ein Licht auf einen beunruhigenden Trend: Viele derjenigen, die eine Ausreise in Erwägung ziehen, gehören nicht zu den Randgruppen oder zu den Menschen, die sich in Schwierigkeiten befinden, sondern zu den hochgebildeten, wirtschaftlich erfolgreichen und sprachlich integrierten Menschen – also genau zu den Profilen, auf die Deutschland angewiesen ist, um dem zunehmenden Fachkräftemangel zu begegnen.
Wichtigste Push-Faktoren: Bürokratie, Steuern und politische Unzufriedenheit
Die Befragten nannten verschiedene Gründe für ihre Unzufriedenheit. Am häufigsten wurden übermäßige Bürokratie, hohe Steuern und politische Desillusionierung genannt. Diese Faktoren betreffen alle wichtigen Einwanderergruppen – von Arbeitsmigranten und Familienmigranten bis hin zu Studierenden und Flüchtlingen. Flüchtlinge nannten zudem Diskriminierung als einen eindeutigen und gewichtigen Grund für ihren Wunsch, das Land zu verlassen.
Während einige Migranten eine Rückkehr in ihre Herkunftsländer erwägen, planen andere einen Umzug in Drittländer. Polen erwies sich als beliebtestes Zielland für Rückkehrer, gefolgt von Rumänien. Auch die Türkei und die Ukraine wurden häufig genannt. Unter denjenigen, die einen Umzug ins Ausland planen, rangierten die Schweiz, die USA und Spanien am häufigsten.
Persönliche und berufliche Motivationen hinter Auswanderungsplänen
Für Migranten, die in ihre Heimat zurückkehren wollten, waren persönliche Beziehungen und emotionale Bindungen die Hauptgründe. Ehepartner, Kinder, Verwandte und langjährige Freunde spielten bei dieser Entscheidung eine zentrale Rolle.
Diejenigen, die eine Auswanderung in ein neues Zielland in Erwägung zogen, waren von wirtschaftlichen Chancen und beruflicher Entwicklung motiviert. Sie bevorzugten tendenziell Länder mit stabilen Volkswirtschaften, vereinfachten Verwaltungsprozessen und starken Arbeitsmarktintegrationssystemen. Diese Unterscheidung unterstreicht den vielschichtigen Charakter von Migrationsentscheidungen, da sich sowohl persönliche als auch berufliche Faktoren auf komplexe Weise überschneiden.
Schlüsselsektoren, denen das Risiko eines Talentverlusts droht
Besonders hoch ist das Abwanderungsrisiko in Branchen, die bereits mit Personalmangel zu kämpfen haben. Laut IAB-Daten gaben 30 bis 39 Prozent der Migranten in den Bereichen IT, Finanzen, Versicherungen und Beratung an, eine Auswanderung aus Deutschland in Erwägung zu ziehen. Selbst in systemrelevanten Branchen wie dem Gesundheitswesen, der Fertigung, der Logistik und den sozialen Diensten lag die Abwanderungsquote zwischen 24 und 28 Prozent.
Arbeitsmarktexperten beunruhigt dieser Trend, da er Deutschlands Fähigkeit, wichtige Infrastrukturen und seine wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, unmittelbar gefährdet. Die Migranten, die am ehesten eine Auswanderung in Erwägung ziehen, sind zugleich diejenigen, die für die deutsche Arbeitswelt am wertvollsten sind: gebildete, berufstätige und erfahrene Fachkräfte mit guten Deutschkenntnissen.
Strukturelle Barrieren behindern Integrationsbemühungen
Trotz langjähriger öffentlicher Diskussionen über Integration stehen viele Einwanderer nach wie vor vor erheblichen strukturellen Hürden. Komplizierte Anerkennungsverfahren für ausländische Qualifikationen, langsame und intransparente Verwaltungssysteme sowie eine inkonsistente Umsetzung der Einwanderungspolitik wurden als Faktoren genannt, die das Vertrauen in deutsche Institutionen schwächen.
Obwohl Deutschland Anstrengungen unternommen hat, die Aufenthaltserlaubnis zu vereinfachen und ausländische Qualifikationen anzuerkennen, beschrieben die Befragten der IAB-Studie ihre Erfahrungen als belastend durch Ineffizienzen. Diese bürokratischen Hürden, gepaart mit dem eingeschränkten Zugang zu stabiler Beschäftigung und beruflichem Aufstieg, tragen zu einem weit verbreiteten Gefühl der Ausgrenzung bei einigen Migrantengruppen bei.
Politische Empfehlungen fordern dringende Reformen
Experten des IAB betonen, dass die bloße Förderung der Einwanderung nicht ausreiche. Yuliya Kosyakova, Leiterin der IAB-Abteilung für Migration und internationale Arbeitsmarktforschung, betonte die Notwendigkeit, langfristige Niederlassungsperspektiven zu schaffen. Dazu gehörten effizientere Verwaltungsstrukturen, schnellere Entscheidungen in Einwanderungsprozessen und eine stärkere Förderung der sozialen Inklusion.
Vanessa Ahuja von der Bundesagentur für Arbeit schloss sich dieser Ansicht an und forderte mutige Schritte zur Vereinfachung bürokratischer Prozesse, zur Digitalisierung der Einwanderungssysteme und zur Beschleunigung der Anerkennung von Qualifikationen. Ebenso wichtig sei es, eine breite gesellschaftliche Akzeptanz von Migranten zu fördern und ihre wichtige Rolle für die deutsche Wirtschaft anzuerkennen, betonte sie.
Für manche ist eine Rückkehr immer noch eine Option
Interessanterweise wären rund 21 Prozent der Migranten, die derzeit eine Auswanderung in Erwägung ziehen, bereit, später nach Deutschland zurückzukehren. Ein Drittel schließt dies gänzlich aus, während fast die Hälfte unentschlossen ist. Dies deutet darauf hin, dass sich eine Verbesserung der aktuellen Bedingungen noch positiv auf die Ergebnisse auswirken könnte.
Derzeit zeichnen die Daten jedoch ein ernüchterndes Bild: Deutschland läuft Gefahr, genau die Menschen zu verlieren, um deren Anwerbung es so hart gekämpft hat – Fachkräfte, die den schwierigen Schritt der Migration und Integration bereits vollzogen haben.