Nur wenige Stunden nach seiner Wahl startete der neue deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz seine erste diplomatische Mission. Er flog nach Paris und Warschau, um die angespannten europäischen Allianzen wiederzubeleben. Die Besuche waren symbolträchtig und signalisierten einen Wandel in Berlins außenpolitischer Linie – doch sie offenbarten auch tiefe Gräben, insbesondere in der Migrationspolitik.
Sowohl in Frankreich als auch in Polen betonte Merz sein Engagement für die Wiederbelebung des sogenannten Weimarer Dreiecks – eines trilateralen Forums zwischen Deutschland, Frankreich und Polen – und plädierte gleichzeitig für eine engere Verteidigungskoordination und stärkere EU-Außengrenzen. Seine Botschaft war klar: Europa muss sich angesichts einer sich verändernden Weltordnung und zunehmender transatlantischer Unsicherheiten auf mehr Eigenständigkeit vorbereiten.
Die angespannten deutsch-französischen Beziehungen erleben einen Neustart
In Paris wurde Merz vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron herzlich empfangen. Die beiden Staatschefs betonten ihre persönlichen Beziehungen und versprachen eine Vertiefung der Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen, darunter Wirtschaftspolitik, Verteidigungsstrategie und Unterstützung für die Ukraine. Merz schlug einen „deutsch-französischen Neustart“ vor und würdigte damit die jüngste Kritik, Deutschland habe seine europäischen Beziehungen vernachlässigt.
Zu den besprochenen Themen gehörte unter anderem die Idee eines gemeinsamen europäischen Atomschirms. Dieser Vorschlag zielt darauf ab, die kontinentale Verteidigungsautonomie zu stärken, da Zweifel an der Zuverlässigkeit der US-Sicherheitsgarantie unter Präsident Donald Trump wachsen. Beide Staatschefs stimmten einer Fortsetzung der Gespräche zu, Merz betonte jedoch ausdrücklich, dass die Nato und insbesondere der amerikanische Atomschirm vorerst unersetzlich seien.
Die Gespräche berührten auch den Handel. Merz bekräftigte seine Ablehnung von Trumps Zollpolitik und warnte, sie bedrohe die globale Wirtschaftsstabilität. „Handel sollte allen zugutekommen, nicht neue Barrieren schaffen“, sagte er und schloss sich damit Macrons Forderung an, den europäischen Wohlstand in einer zunehmend protektionistischen Welt zu schützen.
Warschauer Treffen löst Streit über Migrationspolitik aus
In Warschau, wo Merz mit dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk zusammentraf, änderte sich der Ton dramatisch. Die Spannungen über die geplanten deutschen Migrationsmaßnahmen, insbesondere die Ausweitung der Grenzkontrollen und die Wiedereröffnung von Rückführungszentren für Migranten nahe der polnischen Grenze, flammten auf.
Tusk verurteilte jeden Vorschlag, Deutschland könne Asylsuchende in Nachbarländer abschieben, und nannte ihn „inakzeptabel“. Er warnte, Polen werde mit eigenen Grenzmaßnahmen reagieren, was die Angst vor internen Spaltungen in der Europäischen Union verschärfen würde. Im Mittelpunkt der Kritik stand eine Einrichtung in Eisenhüttenstadt nahe der polnischen Grenze, die die Rückführung von Migranten im Rahmen der Dublin-Verordnung erleichtern soll. Tusk lehnte jegliche Bemühungen, die Asyllast nach Osten zu verlagern, entschieden ab.
Merz verteidigte jedoch die neue politische Richtung. Gegenüber deutschen Medien betonte er, dass aufgrund der hohen irregulären Migration in der EU vorübergehende Grenzkontrollen notwendig seien. „Das ist keine dauerhafte Lösung, aber ein notwendiger Schritt für den Moment“, sagte er. Er sicherte Polen die deutsche Unterstützung bei der Stärkung der EU-Außengrenzen zu und betonte die Bedeutung der gemeinsamen europäischen Verantwortung bei der Bewältigung des Migrationsdrucks.
Innenpolitischer Druck und eine gespaltene Koalition
Im Inland sieht sich Merz sogar innerhalb seiner eigenen Koalition mit politischen Spannungen konfrontiert. Seine Haltung zum Grenzschutz und zur Rückführung von Asylbewerbern hat bereits zu Streitigkeiten zwischen der CDU/CSU und ihren sozialdemokratischen Koalitionspartnern geführt. Innenminister Alexander Dobrindt reagierte rasch und hob eine Richtlinie aus dem Jahr 2015 auf, die Asylablehnungen an der Grenze verhindert hatte. Er versprach außerdem, die Polizeipräsenz zu erhöhen und die Zahl der Ablehnungen schrittweise zu steigern.
Vizekanzler Lars Klingbeil und andere SPD-Politiker äußerten Bedenken hinsichtlich der rechtlichen und humanitären Auswirkungen und erinnerten die Öffentlichkeit daran, dass das Asylrecht in Deutschland weiterhin verfassungsmäßig geschützt sei. Merz behielt zwar die harte Linie seiner Partei bei, betonte aber, dass alle neuen Maßnahmen im Einklang mit dem Gesetz stünden.
SPD-Veteran Matthias Miersch wurde zum neuen Fraktionsvorsitzenden ernannt. Ihm kommt eine zentrale Rolle zu, wenn es darum geht, die Spannungen in der Koalition auszugleichen und den Einfluss der SPD in die Gesetzgebung umzusetzen – insbesondere bei Themen wie Wohnungsbau, Familienrecht und Migration, bei denen die Parteien unterschiedlicher Meinung sind.
Außenpolitik: Neustart oder Risiko?
Merz' sofortige Kontaktaufnahme mit Paris und Warschau signalisiert, dass Berlin entschlossen ist, eine aktivere Rolle in der Außen- und Europapolitik zu übernehmen. Er distanzierte sich ausdrücklich von der zurückhaltenderen Diplomatie seines Vorgängers und kritisierte die Vorgängerregierung für die Stagnation der bilateralen Beziehungen.
Seine Reise erfolgt auch inmitten erneuter Forderungen nach diplomatischem Engagement mit Moskau. Einige Stimmen – wie Sahra Wagenknecht vom BSW – fordern die Bundeskanzlerin auf, auch Russlands historische Rolle im Zweiten Weltkrieg anzuerkennen und diplomatische Wege im Ukraine-Konflikt zu prüfen. Die deutsche Regierung hat bisher ihre feste Solidaritätsposition gegenüber Kiew bewahrt, und sowohl Merz als auch Macron bekräftigten bei ihrem gemeinsamen Auftritt ihre anhaltende Unterstützung für die Ukraine.
Merz' vorsichtige Haltung zu Trump und den Beziehungen zu den USA
Bei einem geplanten Telefonat mit US-Präsident Donald Trump signalisierte Merz Offenheit, aber auch Vorsicht. An Bord seines Flugzeugs kritisierte er die jüngsten amerikanischen Zölle und betonte, Wirtschaftspartnerschaften dürften nicht als Nullsummenspiele betrachtet werden. Er mahnte Washington zudem, die innenpolitischen Entscheidungen Deutschlands zu respektieren, insbesondere nachdem US-Beamte Berlins Einstufung der rechtsextremen AfD als extremistisch kritisiert hatten.
Während Trump seine Glückwünsche durch Vizepräsident JD Vance übermittelte, deutete Merz an, dass er persönlich nur bedingt begeistert davon sei, informelle Beziehungen aufzubauen. Er witzelte, er sei sich nicht sicher, ob ein Golfausflug „eine gute Idee“ sei.
Eine neue Ära, aber unsicheres Terrain
Friedrich Merz' erste Tage im Amt spiegeln sowohl Ehrgeiz als auch Sprunghaftigkeit wider. Sein Versuch, die europäische Diplomatie neu auszurichten, wurde vor allem in Frankreich gelobt. Seine Migrationspolitik hat jedoch bereits zu schweren Gräben in Polen geführt und Spaltungen innerhalb seiner eigenen Koalition offengelegt.
Angesichts zahlreicher Krisen – der Ukraine, des Gazastreifens, der Handelsspannungen und des wachsenden Einflusses der extremen Rechten – steht Merz vor der doppelten Herausforderung, seine Macht im Inland zu festigen und gleichzeitig Deutschland als verlässliche und selbstbewusste Stimme auf der europäischen und globalen Bühne zu etablieren.